Fri, 1 Dec 10:39 - 022
Liebe Tina,
heute noch in dunkler Nacht erwacht und keine "Bedenkzeit" (ist ja manchmal süß, einige Zeit im Dunkeln zu bleiben, Wohliges, Wirres, Phantastisches, Wunschträume zuzulassen).
Übrigens: besonders bezüglich des Wartens Übereinstimmung. Ich kann sehr ungeduldig sein, besonders im Gespräch, wenn jemand sehr lange braucht, um etwas zu entwickeln, und ich weiß ja schon, was gesagt werden soll bzw. gedacht wurde.
Diese drei Wörter sind mir assoziativ eingefallen, beschreiben aber nicht meine Lebenssituation. Am ehesten aktuell ist noch das Wort erwarten. Ich erwarte bestimmte Dinge von mir (hat mit einem Plan zu tun), von anderen (im Job zum Beispiel) und vor allem von Menschen, die ich mag oder in die ich mich verliebe (auch, wenn möglich, vorsichtig und mich selbst hinhaltend).
Ich finde deine Art zu schreiben ansteckend in dem Sinn, daß Form und Inhalt passen, aber auch noch ein Mehrwert dazu kommt, nämlich dein spezieller "Hauch". Ich trenne allerdings nicht so zwischen Positiv und Negativ, sowohl, was Erlebnisse in der Realität als auch in den Buchwelten betrifft.
Was du über die Fiaker schreibst, erfahre ich als Mann nicht. Ich kann gehen, wo ich will, ich sehe zwar immer Blicke, die Verschiedenstes bedeuten. Manchmal sehe ich nichts (wenn ich gegen die Sonne gehe), manchmal schimpft vielleicht jemand, aber niemand pfeift mir nach (klar!), macht mir obszöne Angebote usw. Da trennt sich also die Frauen- von der Männerwelt sehr scharf, und ich fühle mich oft sehr unwohl in "meiner" Welt, ich verstehe die Männer nicht: sie kommen mir so lächerlich, getrieben, jägerhaft, damit "urzeitlich", wie Reptilien vor. Damit will ich nichts zu tun haben. Das ist oft mein Gefühl, weshalb ich mich in Gesellschaft von Frauen (ich habe viele Kolleginnen) meist wohler fühle. Du hast allerdings eine dich sichtlich schützende Form gefunden, damit umzugehen bzw. es nicht so tragisch zu nehmen, zumindest was die Fiaker betrifft.
Sprung (auch weil ich bald aufbrechen muß): ich habe Connie Palmen noch nicht aus den Augen verloren, ich lese ja noch in ihrem ersten Buch (Die Gesetze).
Im Nachhinein interessant finde ich das blitzartige "Sich-Verknallen", das zwischen CP und IM passierte, und zwar auf eine solche - mir - ungewöhnlich erscheinende Weise, daß ich die Stelle zitieren muß: ""Er schließt in der Reestraat gerade die Haustür ab, als ich, von der Prinsengracht kommend, um die Ecke biege. Wir bleiben beide wie angewurzelt stehen und sehen einander an, ohne etwas zu sagen. Er wollte zu mir und ich zu ihm, das wissen wir. Ohne jede Vorwarnung dehnt sich mein Schließmuskel, und ich mache mir in die Hose. Mir gegenüber spreizt er die Beine, fasst sich an den Hintern und ruft verdutzt aus, er habe sich in die Hose gekackt."
Daß sie nachher unzertrennlich sind, ergibt sich wohl daraus. Wenn sie sich einmal kurz nicht sehen, telefonieren sie zumindest im Halbstundentakt! Sie erzählt also vom Unvermögen, ohne den Anderen zu sein, von der Kraft und dem Glück, daß beide durch die Gegenwart des anderen genießen. Sie sind sich gegenseitig Heimat - zwei Seelen, die sich vorher immer alleine gefühlt hatten. Beide haben im Anderen nun auch endlich einen adäquaten Gesprächspartner gefunden - ein Manko, unter dem gerade CP bislang sehr gelitten hatte.
Ich konnte mich nicht wegen seiner Schließmuskelreaktion mit IM identifizieren, sondern wegen folgender Erkenntnis: „’Was ich jetzt sage, mag vielleicht sehr seltsam klingen (. . .) aber du bist die erste Frau, die mir ähnlich ist. (. . .) ich habe es bis heute immer für undenkbar und noch dazu äußerst unangenehm gehalten, mit einer Frau zusammen zu sein, die mir auch nur im Entferntesten ähnlich ist, stattdessen aber ist es höchst angenehm.’"
Ich kann dem nur zustimmen, nachdem ich früher so oft auf mein Gegenteil abgefahren bin. Meine erste (kleine) Liebe war eine gebräunte schwarzhaarige Tirolerin, die ich kaum verstand. Ich war 12, sie 11 oder 10. Es folgten viele Verliebtheiten während der Mittelschulzeit, und aus meiner jetzigen Sicht würde ich sie alle als mir sehr kontrovers beschreiben. Das trifft sich auch auf die große Liebe während des Studiums zu und ganz sicher auch auf meine Exfrau. Seit erstaunlich vielen Jahren leben wir nun nicht mehr zusammen. Heute habe ich mit ihr nach längerer Zeit wieder telefoniert. Und ich stellte fest: wir sind noch immer wie Pech und Schwefel.
Zuviel Paradies wäre unerträglich. Es gibt also auch den Schatten darauf: IMs Untreue, seine alte Sucht; und seine Eifersucht, als CP mit ihrem ersten Buch Erfolg hat.
Zitat: "'Connie", sagt er mitten in der Nacht, 'Ich kann nicht treu sein, ich kann es nicht, ich werd verrückt, wenn ich daran denke. Ich werde immer wieder mal zu anderen Frauen gehen, aber ich möchte jeden Abend zu dir zurückkommen. Nicht weinen.'
Aber ich weine nicht. Ich höre es mir ruhig an und weiß, daß ich das Licht auslassen muß, daß er dies nur im Dunkeln sagen kann. Ich stelle ihm Fragen und höre, daß er sie beschämt und mit großer Mühe beantwortet. Manchmal windet er sich um die Beantwortung einer Frage herum, etwas, was ich nicht von ihm gewöhnt bin. Da ich weiß, daß wir dieses Gespräch nur ein einziges Mal auf seine Veranlassung hin führen werden, stelle ich die betreffende Frage mit anderen Worten noch einmal, bis ich weiß, was ich wissen möchte, bis ich es besser verstehe. Das einzige, was das Wissen erträglich macht, ist, daß er seine Antworten einige Male mit der Bemerkung einleitet, er habe das noch keiner Frau, mit der er zusammen war, je erzählt."
Das Buch besteht aus zwei ungleichen Teilen: "In Margine" bilanziert CP in kurzen Abschnitten zahlreiche Momente und Szenen dieser amour fou: in Form von Gesprächen, Reiseberichten, Auftritten, Begegnungen, Streitereien und Versöhnungen, und zwar aus großer innerer Nähe sowohl zu sich als auch zu IM, der ja durch viele kleine Zitate aus seinen Zeitungsartikeln und Buchentwürfen direkt spricht. Trotz der Intimität erscheint nichts exhibitionistisch. Du kommst dir nicht vor wie ein Voyeur, dem hinter einem Guckloch etwas Verbotenes vorgeführt wird. CP versteht es sehr gut, Emotionalität mit Reflexivität zu verbinden, ohne daß das aufgesetzt wirkt oder dozierend. Da beide schreiben, er als Journalist, sie als Romanschriftstellerin wird das Schreiben - und die Durchdringung des Lebens mit dem Schreiben - auch oft thematisiert. IM stirbt nach vier Jahren 52jährig an einem Herzinfarkt.
Der viel kürzere zweite Teil - ""In Memoriam" - behandelt das Leben CPs nach seinem Tod und schildert ihr Martyrium, damit fertigzuwerden. Da war das Schreiben sicher ein Überlebensprogramm, das sie diese vier Jahre des hauptsächlichen Glücks noch einmal durchleben und erneuern ließ.
So, ich esse noch schnell mein Frühstück (Cornflakes mit Körnern und Apfel) und verlasse dieses warme Haus in Richtung mittelgraue, etwas dräuende Außenwelt.
Ich wünsch dir einen schwungvollen Vor- und Nachmittag, das heißt: eigentlich nur einen Vormittag. Denn am Nachmittag versetze ich dich in eine Buchhandlung deiner Wahl, zum Büchernachschub!
Alles Liebe samt HWG!
ALEX
heute noch in dunkler Nacht erwacht und keine "Bedenkzeit" (ist ja manchmal süß, einige Zeit im Dunkeln zu bleiben, Wohliges, Wirres, Phantastisches, Wunschträume zuzulassen).
Übrigens: besonders bezüglich des Wartens Übereinstimmung. Ich kann sehr ungeduldig sein, besonders im Gespräch, wenn jemand sehr lange braucht, um etwas zu entwickeln, und ich weiß ja schon, was gesagt werden soll bzw. gedacht wurde.
Diese drei Wörter sind mir assoziativ eingefallen, beschreiben aber nicht meine Lebenssituation. Am ehesten aktuell ist noch das Wort erwarten. Ich erwarte bestimmte Dinge von mir (hat mit einem Plan zu tun), von anderen (im Job zum Beispiel) und vor allem von Menschen, die ich mag oder in die ich mich verliebe (auch, wenn möglich, vorsichtig und mich selbst hinhaltend).
Ich finde deine Art zu schreiben ansteckend in dem Sinn, daß Form und Inhalt passen, aber auch noch ein Mehrwert dazu kommt, nämlich dein spezieller "Hauch". Ich trenne allerdings nicht so zwischen Positiv und Negativ, sowohl, was Erlebnisse in der Realität als auch in den Buchwelten betrifft.
Was du über die Fiaker schreibst, erfahre ich als Mann nicht. Ich kann gehen, wo ich will, ich sehe zwar immer Blicke, die Verschiedenstes bedeuten. Manchmal sehe ich nichts (wenn ich gegen die Sonne gehe), manchmal schimpft vielleicht jemand, aber niemand pfeift mir nach (klar!), macht mir obszöne Angebote usw. Da trennt sich also die Frauen- von der Männerwelt sehr scharf, und ich fühle mich oft sehr unwohl in "meiner" Welt, ich verstehe die Männer nicht: sie kommen mir so lächerlich, getrieben, jägerhaft, damit "urzeitlich", wie Reptilien vor. Damit will ich nichts zu tun haben. Das ist oft mein Gefühl, weshalb ich mich in Gesellschaft von Frauen (ich habe viele Kolleginnen) meist wohler fühle. Du hast allerdings eine dich sichtlich schützende Form gefunden, damit umzugehen bzw. es nicht so tragisch zu nehmen, zumindest was die Fiaker betrifft.
Sprung (auch weil ich bald aufbrechen muß): ich habe Connie Palmen noch nicht aus den Augen verloren, ich lese ja noch in ihrem ersten Buch (Die Gesetze).
Im Nachhinein interessant finde ich das blitzartige "Sich-Verknallen", das zwischen CP und IM passierte, und zwar auf eine solche - mir - ungewöhnlich erscheinende Weise, daß ich die Stelle zitieren muß: ""Er schließt in der Reestraat gerade die Haustür ab, als ich, von der Prinsengracht kommend, um die Ecke biege. Wir bleiben beide wie angewurzelt stehen und sehen einander an, ohne etwas zu sagen. Er wollte zu mir und ich zu ihm, das wissen wir. Ohne jede Vorwarnung dehnt sich mein Schließmuskel, und ich mache mir in die Hose. Mir gegenüber spreizt er die Beine, fasst sich an den Hintern und ruft verdutzt aus, er habe sich in die Hose gekackt."
Daß sie nachher unzertrennlich sind, ergibt sich wohl daraus. Wenn sie sich einmal kurz nicht sehen, telefonieren sie zumindest im Halbstundentakt! Sie erzählt also vom Unvermögen, ohne den Anderen zu sein, von der Kraft und dem Glück, daß beide durch die Gegenwart des anderen genießen. Sie sind sich gegenseitig Heimat - zwei Seelen, die sich vorher immer alleine gefühlt hatten. Beide haben im Anderen nun auch endlich einen adäquaten Gesprächspartner gefunden - ein Manko, unter dem gerade CP bislang sehr gelitten hatte.
Ich konnte mich nicht wegen seiner Schließmuskelreaktion mit IM identifizieren, sondern wegen folgender Erkenntnis: „’Was ich jetzt sage, mag vielleicht sehr seltsam klingen (. . .) aber du bist die erste Frau, die mir ähnlich ist. (. . .) ich habe es bis heute immer für undenkbar und noch dazu äußerst unangenehm gehalten, mit einer Frau zusammen zu sein, die mir auch nur im Entferntesten ähnlich ist, stattdessen aber ist es höchst angenehm.’"
Ich kann dem nur zustimmen, nachdem ich früher so oft auf mein Gegenteil abgefahren bin. Meine erste (kleine) Liebe war eine gebräunte schwarzhaarige Tirolerin, die ich kaum verstand. Ich war 12, sie 11 oder 10. Es folgten viele Verliebtheiten während der Mittelschulzeit, und aus meiner jetzigen Sicht würde ich sie alle als mir sehr kontrovers beschreiben. Das trifft sich auch auf die große Liebe während des Studiums zu und ganz sicher auch auf meine Exfrau. Seit erstaunlich vielen Jahren leben wir nun nicht mehr zusammen. Heute habe ich mit ihr nach längerer Zeit wieder telefoniert. Und ich stellte fest: wir sind noch immer wie Pech und Schwefel.
Zuviel Paradies wäre unerträglich. Es gibt also auch den Schatten darauf: IMs Untreue, seine alte Sucht; und seine Eifersucht, als CP mit ihrem ersten Buch Erfolg hat.
Zitat: "'Connie", sagt er mitten in der Nacht, 'Ich kann nicht treu sein, ich kann es nicht, ich werd verrückt, wenn ich daran denke. Ich werde immer wieder mal zu anderen Frauen gehen, aber ich möchte jeden Abend zu dir zurückkommen. Nicht weinen.'
Aber ich weine nicht. Ich höre es mir ruhig an und weiß, daß ich das Licht auslassen muß, daß er dies nur im Dunkeln sagen kann. Ich stelle ihm Fragen und höre, daß er sie beschämt und mit großer Mühe beantwortet. Manchmal windet er sich um die Beantwortung einer Frage herum, etwas, was ich nicht von ihm gewöhnt bin. Da ich weiß, daß wir dieses Gespräch nur ein einziges Mal auf seine Veranlassung hin führen werden, stelle ich die betreffende Frage mit anderen Worten noch einmal, bis ich weiß, was ich wissen möchte, bis ich es besser verstehe. Das einzige, was das Wissen erträglich macht, ist, daß er seine Antworten einige Male mit der Bemerkung einleitet, er habe das noch keiner Frau, mit der er zusammen war, je erzählt."
Das Buch besteht aus zwei ungleichen Teilen: "In Margine" bilanziert CP in kurzen Abschnitten zahlreiche Momente und Szenen dieser amour fou: in Form von Gesprächen, Reiseberichten, Auftritten, Begegnungen, Streitereien und Versöhnungen, und zwar aus großer innerer Nähe sowohl zu sich als auch zu IM, der ja durch viele kleine Zitate aus seinen Zeitungsartikeln und Buchentwürfen direkt spricht. Trotz der Intimität erscheint nichts exhibitionistisch. Du kommst dir nicht vor wie ein Voyeur, dem hinter einem Guckloch etwas Verbotenes vorgeführt wird. CP versteht es sehr gut, Emotionalität mit Reflexivität zu verbinden, ohne daß das aufgesetzt wirkt oder dozierend. Da beide schreiben, er als Journalist, sie als Romanschriftstellerin wird das Schreiben - und die Durchdringung des Lebens mit dem Schreiben - auch oft thematisiert. IM stirbt nach vier Jahren 52jährig an einem Herzinfarkt.
Der viel kürzere zweite Teil - ""In Memoriam" - behandelt das Leben CPs nach seinem Tod und schildert ihr Martyrium, damit fertigzuwerden. Da war das Schreiben sicher ein Überlebensprogramm, das sie diese vier Jahre des hauptsächlichen Glücks noch einmal durchleben und erneuern ließ.
So, ich esse noch schnell mein Frühstück (Cornflakes mit Körnern und Apfel) und verlasse dieses warme Haus in Richtung mittelgraue, etwas dräuende Außenwelt.
Ich wünsch dir einen schwungvollen Vor- und Nachmittag, das heißt: eigentlich nur einen Vormittag. Denn am Nachmittag versetze ich dich in eine Buchhandlung deiner Wahl, zum Büchernachschub!
Alles Liebe samt HWG!
ALEX
michaela1 - 17. März, 11:47