Mon, 27 Nov, 20:07 - 014

Liebe Tina,

heute habe ich das Haus bis jetzt gar nicht verlassen, obwohl ich durchs Fenster gesehen habe, daß es sonnig hat. Ich wollte weggehen, dann wieder nicht, weil ich meine „Freiheit“ genießen wollte. Andererseits habe ich zu wenig Bewegung gemacht. Ich werds noch in der Nacht nachholen, auch wenn’s kalt und windig ist.

Die Preisverleihung am Freitag ist nicht ganz nach meinem Geschmack abgelaufen, weil ich nicht die Leute getroffen habe, die ich erwartet habe. Über die Hintergründe habe ich auch nichts Neues erfahren. Doch die Autorin hat den Preis verdient. Außerdem lebt sie in Berlin, und der Text, der von einer Schauspielerin gelesen wurde, hat mich wieder mit dieser Stadt verbunden. Ich bin dort jedes Jahr mindestens eine Woche.

Es freut mich, daß ich mir jetzt ein Bild von deiner Arbeit machen kann, also den Grund kenne, warum du quer durch die Stadt schreitest. Ich finds schön, daß du relativ autonom arbeiten kannst, wenn auch im üblichen, leider starren Zeitrahmen. Und was machst du in diesem „kleines Zimmer, umgeben von Büchern? Und was heißt: „im weitesten Sinn“?

Zu deinem Die-Stadt-Durchschreiten: ich habe als Student immer in der Josefstadt gewohnt und natürlich alles Wichtige zu Fuß erreichen können, was später nicht mehr der Fall war, weil ich viele Jahre in der Nähe der Alten Donau verbracht habe. 20 Minuten Minimalgehzeit würde bedeuten: Ausgangspunkt ist ein Haus zwischen Kaiser- und Neubaugasse. Stimmts?

Noch einmal zu der Palmen: Ich habe inzwischen ihr erstes Buch begonnen (Die Gesetze), das aus sieben Erzählungen besteht, die sich um eine einzige Ich-Erzählerin – also C.P., zu ihrer Studienzeit – ranken. IM hat „Neid“ hervorgerufen, eigentlich Verstimmung darüber, daß sie eine Glücksgeschichte beschreibt, eine scheinbar vollkommene Beziehung zwischen zwei Menschen, die Tag und Nacht miteinander zu tun haben können, und das in spannender, einander ergänzender Liebe. Eigentlich ist es die Lebensintensität, die eben auch Luxus und Sucht einschließt, genauso wie die Möglichkeit, Gefühle so intensiv und zugleich kindisch wie IM ausdrücken zu können. Ich beneide ihn, so pervers das klingt (postum!), 1. um seine Herkunft und die damit verbundene Leidensklugheit bzw. die Unausweichlichkeit dieses „Schicksals“ (in diesem Gott-Vater-Kind-Dreieck); und 2. um seine Zeit mit der Autorin.

Ich gehe auch manchmal früher schlafen. Gestern zum Beispiel war ich im Kino, in „Les gout des autres“. Dann habe ich mir noch die letzte Viertelstunde von Betrifft angeschaut, dieses Mal – so man in der kurzen Zeit beurteilen konnten – recht souverän von Waltraud Langer geleitet Und dann bin ich „schon“ um ½ 12 ins Bett, ohne noch etwas zu lesen.

„Nachholen“ kann ich Schlaf nicht, aber einmal pro Woche mindestens ist ein Normalschlaf fällig, das heißt: von 6 bis 7 Stunden. Mein Problem hast du schon verstanden: ich übergehe den „Knackpunkt“, und dann bin ich oft hellwach und weiter am Wachleben interessiert. Daß du mit nur 5 Stunden im Durchschnitt auskommst, finde ich bewundernswert. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß das wirklich reicht!

Mir hat deine Traumdeutung gut gefallen, vor allem, weil sie, da du ja eine in jeder Hinsicht „Außenstehende“ bist, zwei Dinge behandelt: meine Traumbeschreibung und dich selbst. Über dich erfahre ich, daß du meinst, Dinge oder Szenen im Traum haben ein symbolische Bedeutung, können also übersetzt werden. Über mich erfahre ich, daß ich mich – verkürzt gesagt – zu viel mit der Vergangenheit beschäftige und mich zu wenig genau auf Zukünftiges vorbereite.

Wenn du dich so gut an deine Träume erinnerst: schreibst du sie dir – manchmal – auf? Oder versuchst du, sie zu vergessen? Oder geht das gar nicht, weil sich die Erinnerung von selbst aufdrängt?

Was das Deuten betrifft, so finde ich immer einen Bezug zum vorhergegangenen Tag oder Abend oder auch zu etwas weiter Zurückliegendes. Ich bewundere dieses scheinbar unerschöpfliche Unterbewußtsein – es ist ja das „zweite Ich“ - und bedaure, daß ich so wenig davon erfahren kann.

Heute ist ein normaler Arbeitstag für mich, das heißt: ich muß zu Mittag ins Institut. Bis dahin genieße ich den blauen Himmel, wahrscheinlich nur durchs Fenster.

Ich wünsche dir Freude während der Arbeit und besonders danach!
Herzlich
ALEX

PS: Stehen die vier x in deiner „Emailadresse“ für Tina oder anstelle der restlichen Buchstaben deines Familiennamens?
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