Wed, 29 Nov, 22:30 - 020
Liebe Tina,
ja, es hat mir gefallen, daß du geschrieben hast, daß du mein Mailchen vermißt hast. Warum? Weil vermissen ein Erwarten beinhaltet, zugleich auch im Gedanken vorweggenommenen Verlust und Bedauern darüber. Und Erwarten beinhaltet auch eine Sehnsucht.
Diese drei Wörter sind mir jetzt so hintereinander eingefallen, das heißt: ich habe sie bewußt in einen Zusammenhang gebracht: VERMISSEN, ERWARTEN, SEHNEN. Jetzt möchte ich wissen, wohin mich die Etymologie führt. Das ist keine Marotte! Denn die Wörter sind ja Hülsen für die Vergangenheit, transportieren den Lebenshauch aller Menschen, die sie jemals in den Mund genommen haben, mit sich und auch die Bedeutungen, die ihnen früher gegeben wurden. Es ist natürlich ein Luxus, sich dessen bewußt werden zu wollen. Aber ich gönne mir jetzt diesen Luxus, Sidestep oder auch Seitensprung.
Ich habe zwei - zusammen mehr als 1600 Seiten - dicke dunkelblaue Bände vom Akademie Verlag, Berlin, die ich oft und gern benütze. Unter VERMISSEN finde ich gar nichts, was mich nicht so erstaunt. Wohl aber unter MISSEN: vor 1100 Jahren heißts firmissen und bedeutet: "nicht treffen, verfehlen, nicht finden, übersehen, ermangeln". ERWARTEN finde ich natürlich auch nicht, sondern WARTEN, was um 800 "spähen, ausschauen nach, wahrnehmen, Anwartschaft haben, sich vorsehen, sorgen, pflegen" bedeuten konnte. Sich sehnen bzw. SEHNSUCHT ist sichtlich jünger. Sehnsucht wird ursprünglich als peinigende schmerzliche Krankheit vorgestellt, wegen SUCHT, was uns wieder ins 8. Jh. führt.
Du siehst, nicht immer gibt es etwas Neues, außer daß früher bei Sehnsucht mehr die Sucht im Mittelpunkt stand, was jetzt in den Hintergrund getreten ist, denn mein Synonymenlexikon gibt mir folgende Wörter an: Wunschtraum, Wunsch, Wille, Wehmut, Verlangen, Streben, Heimweh, Gier, Erwartung, Drang, Bestreben.
Ich habe zwar gewußt, daß sich alles Mögliche tut in der Stadt, hätte aber nicht gedacht, daß du dich da durch "Polizei-, Militär- und Sperrgitter" kämpfen mußt. Und dazu dein "mühevolles Vorwärtskommen" am Heimweg. Mich hat das stark an London dieses Jahres erinnert, vor allem an die Gegend um den Piccadilly Circus herum.
Tina, das ""Haus" auf dem Parlamentsdach" habe ich noch nicht bemerkt. Aber es gibt da oben meines Wissens eine Figurengruppe, und die könnte renoviert werden, "heimlich" demnach.
Fiaker kenne ich nur von außen, das heißt: ich bin noch mit keinem gefahren und habe auch noch mit keinem geredet. Manchmal habe ich sie auf dem Weg durch den 3. in den 10. Bezirk gesehen und mich gefreut, daß es Pferde in der Stadt gibt. Was ist übrigens ein deftiger Fiaker-Schmäh?
Heute war ich zweimal spaziergängerisch unterwegs: mittags auf dem Weg zur Bahnlinie, etwa eine halbe Stunde, wo ich bemerkte, daß nicht mehr viele Blätter auf den Sträuchern sind, aber der Liguster hält sich. (In den Straßen sind aber die Platanen noch gut belaubt.) Ich habe endlich den Besitzer eines Gartens, der etwa in der Mitte des Weges liegt, gesehen. Der ist mir schon immer ins Auge gestochen, im Sinne von: da drin würde ich mich gerne zwei-, dreimal pro Woche aufhalten, lesen, nachdenken, einfach da draußen.
Und drei Stunden später auf der Straße beim Institut: da bin ich genau in die untergangsbereite weiße Sonne hineinmarschiert, bis zum Donaukanal: ich war so schön geblendet, daß ich nur dunkle Schemen auf dem Gehsteig und auf der Straße gesehen hab. Und der Himmel so einfärbig blau, und quer drüber ein weißer zittriger Flugzeugstrich! Jeden Tag würde ich das brauchen, nicht nur das Gehen in der Sonne, sondern auch die Gedanken, die sich dabei herabsenken, sammeln und festsetzen!
GHO und sehr herzlich!
ALEX
PS: Ich war noch nicht bei Vollmond am Kahlenberg, kenne aber den "Nasenweg" über Leopoldsberg herunter, wenn's der ist, der vom Kahlenbergerdorf hinaufgeht.
ja, es hat mir gefallen, daß du geschrieben hast, daß du mein Mailchen vermißt hast. Warum? Weil vermissen ein Erwarten beinhaltet, zugleich auch im Gedanken vorweggenommenen Verlust und Bedauern darüber. Und Erwarten beinhaltet auch eine Sehnsucht.
Diese drei Wörter sind mir jetzt so hintereinander eingefallen, das heißt: ich habe sie bewußt in einen Zusammenhang gebracht: VERMISSEN, ERWARTEN, SEHNEN. Jetzt möchte ich wissen, wohin mich die Etymologie führt. Das ist keine Marotte! Denn die Wörter sind ja Hülsen für die Vergangenheit, transportieren den Lebenshauch aller Menschen, die sie jemals in den Mund genommen haben, mit sich und auch die Bedeutungen, die ihnen früher gegeben wurden. Es ist natürlich ein Luxus, sich dessen bewußt werden zu wollen. Aber ich gönne mir jetzt diesen Luxus, Sidestep oder auch Seitensprung.
Ich habe zwei - zusammen mehr als 1600 Seiten - dicke dunkelblaue Bände vom Akademie Verlag, Berlin, die ich oft und gern benütze. Unter VERMISSEN finde ich gar nichts, was mich nicht so erstaunt. Wohl aber unter MISSEN: vor 1100 Jahren heißts firmissen und bedeutet: "nicht treffen, verfehlen, nicht finden, übersehen, ermangeln". ERWARTEN finde ich natürlich auch nicht, sondern WARTEN, was um 800 "spähen, ausschauen nach, wahrnehmen, Anwartschaft haben, sich vorsehen, sorgen, pflegen" bedeuten konnte. Sich sehnen bzw. SEHNSUCHT ist sichtlich jünger. Sehnsucht wird ursprünglich als peinigende schmerzliche Krankheit vorgestellt, wegen SUCHT, was uns wieder ins 8. Jh. führt.
Du siehst, nicht immer gibt es etwas Neues, außer daß früher bei Sehnsucht mehr die Sucht im Mittelpunkt stand, was jetzt in den Hintergrund getreten ist, denn mein Synonymenlexikon gibt mir folgende Wörter an: Wunschtraum, Wunsch, Wille, Wehmut, Verlangen, Streben, Heimweh, Gier, Erwartung, Drang, Bestreben.
Ich habe zwar gewußt, daß sich alles Mögliche tut in der Stadt, hätte aber nicht gedacht, daß du dich da durch "Polizei-, Militär- und Sperrgitter" kämpfen mußt. Und dazu dein "mühevolles Vorwärtskommen" am Heimweg. Mich hat das stark an London dieses Jahres erinnert, vor allem an die Gegend um den Piccadilly Circus herum.
Tina, das ""Haus" auf dem Parlamentsdach" habe ich noch nicht bemerkt. Aber es gibt da oben meines Wissens eine Figurengruppe, und die könnte renoviert werden, "heimlich" demnach.
Fiaker kenne ich nur von außen, das heißt: ich bin noch mit keinem gefahren und habe auch noch mit keinem geredet. Manchmal habe ich sie auf dem Weg durch den 3. in den 10. Bezirk gesehen und mich gefreut, daß es Pferde in der Stadt gibt. Was ist übrigens ein deftiger Fiaker-Schmäh?
Heute war ich zweimal spaziergängerisch unterwegs: mittags auf dem Weg zur Bahnlinie, etwa eine halbe Stunde, wo ich bemerkte, daß nicht mehr viele Blätter auf den Sträuchern sind, aber der Liguster hält sich. (In den Straßen sind aber die Platanen noch gut belaubt.) Ich habe endlich den Besitzer eines Gartens, der etwa in der Mitte des Weges liegt, gesehen. Der ist mir schon immer ins Auge gestochen, im Sinne von: da drin würde ich mich gerne zwei-, dreimal pro Woche aufhalten, lesen, nachdenken, einfach da draußen.
Und drei Stunden später auf der Straße beim Institut: da bin ich genau in die untergangsbereite weiße Sonne hineinmarschiert, bis zum Donaukanal: ich war so schön geblendet, daß ich nur dunkle Schemen auf dem Gehsteig und auf der Straße gesehen hab. Und der Himmel so einfärbig blau, und quer drüber ein weißer zittriger Flugzeugstrich! Jeden Tag würde ich das brauchen, nicht nur das Gehen in der Sonne, sondern auch die Gedanken, die sich dabei herabsenken, sammeln und festsetzen!
GHO und sehr herzlich!
ALEX
PS: Ich war noch nicht bei Vollmond am Kahlenberg, kenne aber den "Nasenweg" über Leopoldsberg herunter, wenn's der ist, der vom Kahlenbergerdorf hinaufgeht.
michaela1 - 13. März, 09:12