Montag, 3. Dezember 2007

Fri, 30 Dec, 19:07 - 063

Liebe Tina,

ich habs wirklich gern, wenn du "unterbrichst", aber dann so etwas Langes herauskommt, wie gestern! Da fühl ich mich nah, das heißt so, als könnte ich dich beim Schreiben beobachten! (Vom besagten "Direktionsbesprechungsraum" aus, von dem ich aber noch immer nicht weiß, wie der Weg dorthin verläuft!!)

Heute waren meine "Schwiegereltern" mittags bei mir. Der "alte Herr" (mein liebster Ersatz-Vater! der ja eigentlich beinahe mein Großvater sein könnte) wird in einem halben Jahr 88! Hat leider noch immer seine Stimmbandentzündung, weshalb seine Stimme enuchenhaft klang, was ihm etwas peinlich war. Noch unangenehmer war es ihm allerdings, als er in seinem Schächtelchein keine Hörstöpsel entdeckte. Deshalb war unsere Unterhaltung etwas laut. Doch seine Frau stellte die verbindliche - näher sitzende - Verstärkerin dar.

Der "alte Herr" hat dann wieder ein bißchen Stimme bekommen, als wir über seine Lektüre sprachen (Neurobiologie zum Beispiel) und über die Artikel, die er noch immer schreibt. Er hatte leider auch Pech mit seinem neuen Notebook: vorher klappte es, ins Internet zu kommen; seit er es mit dem internen Modem des Notebooks versucht, klappt es nicht.

Deine Wohnung kann ich jetzt wie auf einem Fotos vor mir sehen!! Ich bin jetzt wieder hinter dir, deinem Blick, der meine Phantasie geschärft hat, hinterhergegangen.

Gestern Abend in einem der Betten, nicht fremden, jedoch auch noch immer nicht gewohnten, konnte ich nicht einschlafen und dachte ziemlich zwanghaft an deine Beschreibung und daran, was dein Schreibtalent eigentlich für dich bedeuten könnte. Ich kenne unter meinen "normalen" Bekannten niemanden, der/die das so könnte. Du bist da singulär!

Ich dachte auch daran, ein wenig Bilanz zu ziehen aus unserer für mich doch sehr ungewohnten - weil mir intensiv, vertraut, zugleich befremdend erscheinenden - Beziehung. Ich habe bisher nur mit drei Frauen per Internet korrespondiert.

Die erste, Anni, schrieb beim ersten Mal, sie wolle mir eigentlich gar nicht schreiben, sondern mir nur sagen, sie vermute hinter meinen Angaben über mich ein Fake. Sie arbeitete als Online-Redakteurin. Sie beriet mich bereitwillig bei Hard- und Softwarenproblemen, verriet nicht viel von sich, weder wo sie wohnte, noch wo sie arbeitete, schrieb mir aber schon beim zweiten Mal, sie habe herausgefunden, wie ich heiße, wo ich wohne, wie meine Telefonnummer laute usw. Mit der Zeit kam heraus, daß sie mit ihrer Arbeit sehr unzufrieden war und einen Großteil der restlichen Zeit mit Fahrten von und zum Arbeitsplatz verbrachte. Auf dem Ungleichgewicht an Wissen übereinander beharrte sie bis zu meiner Abreise nach Italien Mitte Juli.

Die zweite, Eva, war Volksschullehrerin und anfangs sehr interessiert, mich kennenzulernen. Sie schrieb mir sehr häufig. Ich empfand sie sehr gefühlsvoll, zugleich wieder mißtrauisch und sich selbst die Gelegenheiten nehmend. Ein Schritt vor, zwei zurück. Sie verbot mir nach kurzer Zeit Fragen bzw. beantwortete sie nicht mit dem Argument, sie spüre dabei eine psychische Sperre, die aber nicht mit mir zusammenhänge. Längere Briefe verwirrten sie, glaube ich. Sie wolle, schrieb sie, unterhalten werden, nicht mit Problemen belastet. Sie kündigte mehrmals an, mich "in der Hauptstadt" treffen zu wollen, doch jedes Mal verließ sie der Mut.

Die dritte, Tanja, charakterisierte sich so: "intelligent, charmant, lebendig, schlagfertig (aber nur mit Worten), leider manchmal spitzzüngig, tolerant, noch immer neugierig aufs Leben". Sie wollte aus dem "Teich der Wissenschaftsfrösche" ausbrechen, suchte wohl einen Begleiter während den Sommers, nicht unbedingt drängend, doch eindeutig. Sie schrieb mir sowohl von zu Hause als auch von ihrem Institut aus. Ich glaube, sie interessierte sich wirklich für mich. Sie schickte mir bald auch einige Fotos von sich. Während meines Auslandsaufenthalts verfaßte sie eine Art Tagebuch. Sie wollte mich während der Sommers mehrmals treffen. Daraus wurde nie etwas, weil ich entweder nicht da war oder sie zu beschäftigt. Sie bereitete einige Ausstellungen in den Bundesländern vor. Für sie stand eindeutig ihre Arbeit an erster Stelle. Weil diese im September wieder in den Vordergrund rückte, wurden ihre Briefe immer seltener. Als ich sie im Oktober auf der Rückfahrt von Tirol aufsuchen wollte, war sie auf einmal auf Dienstreise.

In deinem zweiten Briefchen hast du den schönen Satz geschrieben: "wir müssen für Dich eine Kuh in die Wohnung stellen" (du zitierst deine Oma). So etwas rührt und verbindet mich! Du hast viele Sätze geschrieben, die ich nicht erwartet habe und mich neugierig machten. Worauf? Zumindest darauf, daß "es" weitergeht. So dieses tägliche Hin und Her! Diese gegenseitige - sensible - Aufmerksamkeit (und auch Aufmerksamkeit auf Dinge, die sonst vielleicht nicht beachtet werden würden, nicht noch einmal bedacht)! Ich gerate manchmal in eine unbestimmte Sehnsucht, die ein bißchen weh tut, zugleich auch beruhigt. Es gefällt mir meist sehr, was du über dich (und auch deine T.) schreibst. Diese Zärtlichkeit, dein Stolz, deine genauen Augen, auch deine Ausdauer! In der Art, wie du schreibst, schließt du vieles ein, weniges aus. Du hast zwar "Schwärze" angedeutet, bist aber nicht darauf abgefahren, es vor mir auszubreiten. (Nicht daß ich mich "Schwärze" abhalten, verwirren oder verärgern würde. Dazu habe ich zu viel erlebt.) Es ist ein Spiel mit lebendigen Bedingungen, solchen also, die sich ändern können, wenn es sich aus dem Kontext von dir und mir ergibt. Ist das nicht so?

Daß du "Sinnlichkeit" nicht nur oberflächlich siehst, gefällt mir auch. Allerdings habe ich auch für die "Oberfläche" etwas übrig, zum Beispiel Kleidung und Kleidungkauf, wie du weißt.

Du schreibst: "Gehen wir einen kleinen Schritt weiter?..." Natürlich wäre ich "neugierig", weiß aber nicht, in welche Richtung du denkst bzw. was du dir da wirklich vorstellst. Außerdem gibt es bei mir eine Schamgrenze, die zumindest von zwei Faktoren bestimmt sind: daß ich dich nicht persönlich kenne (da wäre das ganz anders); und daß mich der Gedanke irritiert, daß ich nicht ausschließlich dir schreibe, sondern meistens oder gar immer eine Mitleserin haben könnte, nämlich deine T.

Liebste Grüße, KK, dem Anlaß entsprechend vielleicht sogar ohne Diminutivendung,
samt etwas vorgezogener Silvesterumarmung,
und entsprechend viele Wünsche für G, Helligkeiten, Erleuchtungen usw.

ALEX
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