Donnerstag, 12. April 2007

Fri, 8 Dec, 9:30 - 032

Liebe Tina,

danke für dein gschwindes Briefchen! Ich fragte mich schon öfter, wie du das schafft, vom Arbeitsplatz aus so einfach längere - und auch konzentriert erscheinende - Mails zu verfassen.

Noch etwas zu Shirin : sie ist die einzige, die ich aus dem vorigen Semester kenne. Sie nervt mich tatsächlich, ich war eine Weile ziemlich böse auf sie, das heißt: ich habe sie einfach ignoriert bzw. wieder gesiezt. Ich mag es auch in diesem Bereich nicht, wenn ich nur den verständnisvollen Motivator abgeben soll. Es ärgert michl, wenn geistlose Dinge mit leicht vorhersehbaren Folgen vor meinen Augen geschehen.

Shirin zum Beispiel hat sich von ihrem Mann - ihrem Cousin! - im Sommer mit Zustimmung der Eltern getrennt und lebt jetzt bei einer Freundin, einer Medizinstudentin, in einer sehr ruhigen Wohnung. Sie behauptet aber, sie könne sich dort nicht konzentrieren und strawanzt entweder durch die Stadt oder setzt sich in die Bibliothek. Dort vertieft sie sich in persische Psychologiebücher, nicht in deutsche, was an einer hiesigen Uni wohl sinnvoll wäre.

In diesem Semester habe ich mit 12 Männern und 8 Frauen beruflich zu tun. Einige Männer wollen hauptsächlich cool erscheinen, vor ihren Kollegen. Vor denen geben sie häufig mit abschätzigen Bemerkungen über die anwesenden Frauen an, wollen so mit demonstrativer Frauenverachtung (wer nicht "schön" ist, existiert für sie nicht) ihren Tribut an die Männerbündelei leisten. Lässig sind sie auch im Umgang mit Wissenserwerb, was bedeutet, daß Faulheit und Nichtwissen mehr zählen als Aufmerksamkeit, Interesse und Fleiß.

In diesem nicht sehr großen Raum, in dem ich mit ihnen arbeiten muß, sind oft tiefe Gräben zu bemerken, und der Hauptgraben trennt die Geschlechter. Das ist für mich eine völlig neue Erfahrung. In den letzten Jahren hatte ich zwar auch Probleme mit dem Verständnis für das Verhalten einiger Männer, doch gab es unter ihnen immer wieder - nicht nur von der Erscheinung her - bewundernswerte Menschen, auch solche mit besonderen Fähigkeiten, die sie auch in der Gruppe in Form von Solidarität, Hilfsbereitschaft, Aufmerksamkeit und Wißbegier zeigten.

Es gibt aber eine Person, die besondere Destruktivität ausstrahlt, Dragan, ein bosnischer Serbe, 23 oder 24 Jahre alt. Er hat sich von Anfang an auf seine Kriegserfahrungen berufen. Ich habe gleich am Anfang Verständnis ausgedrückt, ihm jedoch klar gemacht, daß ich seit Kriegsbeginn mit Menschen aus Ex-Jugoslawien konfrontiert gewesen bin, mit einem Journalisten mit Bauchschüssen, mit Frauen, die den Massakern in Brcko entkommen sind, mit Serben aus Novi Sad, mit Albanern aus dem Kosovo und Makedonien usw.

Dragan wollte immer Englisch mit mir reden; doch darauf bin ich nicht eingestiegen. Ich habe versucht, ihn dazu zu bringen, ein Tagebuch zu schreiben, damit er seinen Erinnerungen, Schmerzen, Konfrontationen dort und hier zumindest schriftlich Ausdruck geben kann. Er hat das zwar versprochen, doch dabei ists geblieben.

Ich denke, er sucht den Autoritätskonflikt. Ich kann das nicht völlig ignorieren, schon der Gruppe zuliebe nicht. Aber es macht mir keinen Spaß. Normalerweise läuft ein Vor- oder Nachmittag sehr abwechslungsreich und vor allem mit Humor und Gelächter und Wärme ab. Dragan und einige andere Männer torpedieren das oft, weil sie ihre eigenen ungelösten Konflikte in die Gruppe tragen müssen.

Junge Männer sind auch meine vier Söhne, sehr verschieden, aufgrund ihrer Mütter und des mütterlichen Umfelds. Außerdem sind sie fünf Jahre auseinander.

Früher war hauptsächlich ich die Verbindungsperson zwischen den beiden; seitdem der jüngere auch studiert, sind sie einander nähergekommen. Da sie seit vorigen Herbst in derselben Firma arbeiten, sehen sie einander mehrmals wöchentlich. Beide verdienen sich jetzt selbst Geld, allerdings mit dem Unterschied, daß der ältere doppelt so viel arbeitet und so viel verdient wie ein mittlerer Angestellter, während sich die Einkünfte des jüngeren auf EUR 300,- pro Monat beschränken.

Trotz des grauen Einheitsbreis am Himmel muß ich jetzt hinaus: zuerst einmal ins Fitneßstudio.

Alles Liebe
ALEX

Montag, 9. April 2007

Thu, 7 Dec, 14:45 - 031

Servus, lieber Alex!

Bin gar nicht konzentriert, sondern schreibe nur so gschwind spontan, was mir als Echo zu Deinem Brieflein einfällt.

Für Liebesdienste dieser Art, wie z. B. Briefe schicken, brauche ich mich nicht zu revanchieren. Allerdings bin ich mit meiner EDV-Betreuerin morgen in Blumau thermen! Kostet mich einiges.

Beschreibst Du Dich ein bißchen für mich? Darf ich mir das wünschen?

Zu Deiner Trennung: Demütigung, Mißverständnisse und Herkunftsscham, Gefangensein? Erzählst Du mir Näheres davon?

Schlaftabletten bzw. Beruhigendes, keine Glückspillen (greifen in den Stoffwechsel, haben irre Nebenwirkungen) helfen vorübergehend. Sind auch nur als akute Notlösung gedacht.

Habe momentan arbeitsmäßig ziemlichen Streß, daher nur Fragmente, obwohl ich viele Fragen stellen und auch ausführliche Antworten von Dir erhalten möchte.

Ein Wochenende nach Deinem Geschmack
Von Tina

PS: Stehe nächsten Samstag vor einer äußerst unangenehmen Sache. Doch gestern Abend ein köstliches Punsch-Besäufnis: 2 halbe Gläser, Birnen-Holler (sehr fruchtig) und Amaretto (sofort beschwipst), samt Lebkuchen, Kartöffelchen; und im Wahl-Zuhause dann Samarin (vorsorglich!).

Servus bis später
Tina

Samstag, 7. April 2007

Wed, 6 Dec, 20:05– 030

Liebe Tina,

wie schafft dus nur, im Job so konzentriert zu schreiben?! Ich glaub, ich könnte das nicht, auch nicht, wenn ich dort ein Zimmer mit einem Fensterchen mit – nur! – Blickkontakt zu einem sichtlich verständnisvollen Raucher hätte.

Mein Arbeitsplatz ist ein Ort, den ich meist fluchtartig verlasse, außer ich werde von den Studenten aufgehalten. Heute wars Shirin, die mich mit ihrem Kopftuchgetue schon voriges Semester genervt hat. Sie hatte damals einen – entrollt – wahrscheinlich bis zur Taille reichenden Zopf darunter. Nicht nur, daß sie sich diesen im September abgeschnitten hat, jetzt gelüstet es sie noch, sich die Haare blond zu färben! Das Kopftuch will sie aber trotzdem tragen!

Ich habe ihr gesagt, sie sollte doch zuerst mit Henna schrittweise versuchen, welcher Rotton ihr gefallen würde. Fast schwarze Haare zu blondieren, fände ich zwar exotisch, aber im Moment auch etwas verrückt. (Noch dazu, wenn sie nur ihre Freundin damit beeindrucken kann.)

Ich habe ihr dann im Auto ein wenig Musik vorgespielt, wobei ich nicht sicher war, ob sie wirklich persisch war. Sie sagte, es seien alte persische Liebeslieder, war davon aber nicht besonders angetan. Sie will mir jetzt eine Musik mitbringen, die ihr gefällt. Obwohl ich sie ersuchte, nach Hause zu fahren und sich mehr mit dem Psychologiestudium zu befassen, wollte sie unbedingt beim Schwedenplatz aussteigen und in die Stadt bummeln gehen. Schließlich versprach sie, sich in die NB zu setzen und etwas Ernsthaftes zu machen.

Heute fühle ich mich wieder gestern, schon jetzt – es ist 20.10 Uhr – ziemlich müde, obwohl ich sowohl zu Mittag als auch am Nachmittag insgesamt gegen einen etwas ungewohnten Wind eine Dreiviertelstunde gegangen bin.

Natürlich kannst du mich positiv beeinflussen! Der Lohn ist auch erstrebenswert: ein Briefchen, das noch dazu zuerst einmal durch die Hände deiner so schön und liebevoll ohne Konkurrenzneid beschriebenen „EDV-Betreuerin" geht, die es ohne den geringsten Nebengedanken sofort weiterleitet! Wie wirst du dich denn für ihre treuen Dienste revanchieren?

Ich komme noch kurz auf ein früheres Mail zurück: Was den „konträren Frauentyp“ anlangt, so basiert der auf einem Trieb aus der Pubertät, verbunden mit der Herkunft aus einem bücherlosen und auch sonst recht armen Elternhaus. Das Konträre waren Bildung und eine gewisse Geldunabhängigkeit. Wenn sich das noch mit konträren – und letztlich kontraproduktiven, das heißt: nicht nur selbstzerstörerischen - Neurosen verbunden hat, wie etwa bei meiner Exfrau, dann kann sich das auf längere Sicht als eine höchst explosive Mixtur entpuppen.

Ich war damals – nach meiner Erinnerung – nicht unbedingt beziehungsmüde oder gar voller Überdruß. Außerdem: was zählt Überdruß gegenüber der Liebe zu einem Kind? Weil dann - nach langmütigem Hoffen - das Gefühl des Gefangenseins noch hinzukam, mußte der Ort aller Mißverständnisse und Demütigungen trotz aller Bedenken verlassen werden. Kurz: der Trugschluß Jahre vorher war, ich könnte „bessere Ersatzeltern“ finden, die mich meine Herkunftsscham vergessen ließen. Ein aus meiner jetzigen Sicht zwar verständlicher Irrtum, aber er mußte zuerst einmal ausgelebt werden.

Ich bin jetzt ein wenig ratlos, weil ich nicht weiß, ob ich dich etwas fragen darf: zum Thema – orthopädisch oder nicht - „zugemüllt“. (Oder du willst mir zumindest verraten, was passieren müßte, damits dir besser geht!) Die einzige Frage: heißt Tabletten Schlaf- oder Glückspillen?

Danke jedenfalls für K., samt WG, was ich dir zurückappliziere! Läßt sich das deinerseits noch deutlicher sagen?

Alles Liebe
ALEX

PS: Leider muß ich schon wieder morgen in der Früh aus dem Haus. Ich will aber gar nicht!

Freitag, 6. April 2007

Wed, 6 Dec, 10:50 - 029

Guten Morgen, lieber Alex!

HWG, also Hoffnung-Witz-Glück, ist zwar ursprünglich von mir, aber Du hast es zu "unserem" gemacht. Und - die Abkürzung hast Du zuerst benutzt. Schön!

Hab schon befürchtet, daß Du's gestern nicht leicht gehabt hast und daß Du trotz Müdigkeit wieder den "Knackpunkt" überschreitest und mir schreibst, Küß die Hand, danke. Freut mich, daß ich Dich positiv beeinflussen konnte, ich habe auch mein Kind gestern ein paarmal sekkiert mit der Frage, ob sie mir von Dir Post unterschlagen hat. Was sie ganz entrüstet von sich wies. Sie hat uns gestern mit Essen, sprich Brötchen, versorgt, um unsere traditionelle Krampusfeier auch heuer wieder stattfinden zu lassen. Ich mache Punsch (gewöhne mich so langsam an alkoholisches Gesöff), und dazu gibt's Brötchen. Meine Rechnung, 5 Stück pro Person ist nicht aufgegangen, weil ich mich grob verschätzt und für jeden 9 Stück geordert habe. Alles aufgegessen und schlecht geworden (wie jedes Jahr). Dank Samarin das Schlechtsein wieder in den Griff bekommen und für nächstes Jahr vorgenommen, weniger zu schmausen.

Ja, zum Kind mach Dir folgendes Bild: Sie ist eher ein Rita Hayworth-Typ. Wunderschöne lange lockige Haare, ein strahlendes Lächeln, herrliche weiß (noch immer ganz gesunde) Zähne, meist arroganter Blick. Braune Augen mit langen dunklen Wimpern, sinnliche Lippen, ein süßes Kinn, fast ein Herzgesichterl, leider keine Ähnlichkeit mit mir, nur die Hände und die Bewegungen der Hände sind von mir. Allerdings auch die Form der Hüften und der Hüftschwung. Sie hat eine sehr weibliche Figur und wunderschöne Beine (sind auch von mir, nur meine länger und schlanker). Ein bisserl klein (1,65m), aber das wird mit hohen Absätzen wettgemacht. Von Natur aus hat sie einen braunen Teint im Gegensatz zu mir (blaß, werde nie braun). Zarte schmalgliedrige Finger und süße Zehen. Ihr Aussehen verschafft ihr immer wieder Vorteile und mit ihrer aufgeschlossenen Art erreicht sie fast mühelos das, was sie will. Wir beneiden uns gegenseitig: Ich sie um ihre Haare, Zähne, ihren Busen und Po. Sie mich um meine Größe und Schlankheit. Kurzer Überblick. Und „weit oben“ arbeitet sie in einem der vielen Büros.

Auszug aus dem Raucherzimmer - herrlich! Sind nämlich unbelehrbar diese Raucher! Ich gebe ihnen da immer das Beispiel auf den Vorwurf der Intoleranz: Stellt euch vor, ich spucke dauernd beim Reden. Es macht nichts, aber es stört. Mir geht vor allem der Gestank in den Haaren, der Kleidung und der Rauchgeschmack auf der Zunge auf die Nerven.

Es ist aber auf keinen grünen Zweig zu kommen mit den Rauchern. Aber meine momentane "Lösung": Ein rauchender Kollege ist in das noch winzigere Zimmerl neben meinem eingezogen (unfreiwillig) und wir sind zwar in eigenen Räumen, haben aber Blickkontakt durch eine Glasscheibe. (Rauch zieht möglicherweise durchs Fenster herein.) Er hat gemeint, daß er keine Beschwerden meinerseits hören will und ich habe ihm gesagt, daß ich mich selbstverständlich (liebevoll) beschweren werde. Weißt Du, was er gemacht hat (ich denke, er hat mich ziemlich gern): Den Duft von 1001 Nacht hat er sich besorgt und in einem Duftlämpchen zur Entfaltung gebracht. Worauf ich gesagt habe, daß es vielleicht günstiger wäre, sich einen männlicheren Duft zuzulegen. Gut riecht's deswegen immer noch nicht. Aber nicht mehr so aggressiv.

Ich: bin zur Zeit sehr zugemüllt und werde allein damit nicht fertig. Daher als Abhilfe, Nähe suchen und kuscheln, um gestreichelt und getröstet zu werden. Wenn keiner da ist, oder das auch nicht hilft, Tabletten (leider), um mich wegzudriften. Bücher lenken in so einem Fall nicht immer ab. Apropos: Morgen wird sich nicht ausgehen, zum Cafe Rathaus zu kommen, vielleicht nächste Woche?

Selbstmitleid ist natürlich auch dabei, aber im Grunde meines Herzens bin ich ein Optimist. Klingt überhaupt nicht überheblich, Deine Hilfestellung Dir gegenüber. Im Gegenteil, es scheint mir, als ob Dir das Unheil-Abwehren ganz gut gelingt. Positive Gedanken herholen ist oft anstrengender als sich in das Unheil ergeben. Ist sicher eine Portion Sadomasochismus dabei, gerade das Schwärzeste, das Schlimmste anzunehmen und negative Situationen immer durchzuspielen. Das mit den Höhen stimmt hundertprozentig und ... Das wiederum ist das Gute bzw. Lichte am Schwarzen.

Mit so viel Liebe (nachts, morgens und tagsüber) kann heute nichts mehr schiefgehen!

Küßchen dafür
und Dir unser HWG
Tina

Mittwoch, 4. April 2007

Tue, 5 Dec, 23:30 - 028

Liebe Tina,

ich war leider seit gestern späten Nachmittag bis heute späten Nachmittag mehr oder minder unterwegs, teilweise unvorgesehen.

Gestern ab 19 Uhr Essen bei einem ORF-Angestellten, bei dem ich nicht nur immer wieder neue Personen kennenlerne, wie zum Beispiel gestern eine Biologin, die am AKH über Zöliakie forscht und ein Buch über Ernährung schreibt, sondern auch Bekannte von früher treffe.

Heute vormittag die ziemlich nervtötende „Protestversammlung“ . Die Gewerkschaftsvertreterin, die ich in der Früh angerufen habe, hatte plötzlich Fieber! Ich fand das verantwortungslos und war empört (wie auch die meisten Kolleginnen, mit denen ich geredet habe).

Und am Nachmittag der immer wieder aufgeschobene Besuch bei Dr. H., die mich damit genervt hat, daß sie zu ihrem Manuskript Sätze hören wollte, die sie sich selbst schon vorher ausgedacht hat. Da war es mir schon lieber, mich wieder einmal um ihren Internet-Anschluß zu kümmern, was insofern eine endlose Geschichte ist, als sie eine „Computer-Phobie“ hat. Sie glaubt, sie muß sich überhaupt für nichts interessieren und alles muß von selbst laufen. Schnippschnapp, und schon geht es. Und wenn es nicht geht, ist es schlecht, unnötig, verdammenswert. Auf den Punkt gebracht: sie lebt ziemlich realitätsfern in einem ziemlich aufgeplusterten „Philosophie-Land“.

Du fragst, wies mir geht: Jetzt fühle ich mich müde, da ich viel zu wenig geschlafen habe. Aber ich schreib jetzt weiter an dich, weil mich das positiv stimmt und die Müdigkeit vergessen läßt.

Wenn dein Vater Alkoholiker war und er zu deinen Kindheitserinnerungen gehört, kannst du auch nachfühlen, warum ich ein solch strikte Meinung dazu habe. Ich weiß – nicht nur wegen eines Schulfreunds -, wovon ich spreche. Mein Schwager lebt vom Alkohol, das heißt: er hat einen Heurigen (das ist das letzte Überbleibsel der Bauernwirtschaft, aber noch das einträglichste). Er ist nicht unbedingt ein Alkoholiker, aber – berufsbedingt – stets „gut aufgelegt“, wie er das nennt.

Im Institut wäre ich ständig umgeben von Raucherinnen. Ich wars früher, als ich an einem anderen Ort arbeiten mußte. Im Raucherzimmer ist es am lustigsten, so hieß es und heißt es noch immer. Doch ich habe die Raucherinnen, jedenfalls die im Institut, als egoistische Selbst- und Fremdkörperverletzer empfunden. Das habe ich auch gesagt, mit freundlicher Deutlichkeit, und immer nur Versprechungen zu hören bekommen: „Morgen höre ich auf! Für dich! Du wirst sehen!“ Nichts wurde gehalten. Dann habe ich die Konsequenzen gezogen. Jetzt bin ich davon nicht mehr direkt berührt.

Ich bin mit meinen vier Söhnen - und manchmal auch samt deren Freundinnen - häufig im Wienerwald auf verschiedene „Gipfel“ gestiegen. Wir sind auch mehrmals zur Hohen Wand gefahren. Das letzte Mal – vor zwei Jahren – sind wir dort auch über Nacht geblieben.

Mit dem Seelenmüll ist es so: Ich weiß ja nicht, zu welcher Tages- oder Nachtzeit du darin wühlen mußt (oder willst). Mich hats früher oft vor dem Einschlafen oder in der Früh – in der Dunkelheit, wenn ich zu früh aufgewacht bin – überfallen. Ich empfand mich oft ausgeliefert und hilflos. Das passiert jetzt nur mehr ab und zu. Ich hab zwei Methoden: ich mache – im wörtlichen Sinn – Licht und damit die Augen auf. Oder ich schreibe darüber (nur für mich). Die dritte, von früher: ich gehe zu „,meiner“ Therapeutin, was mir zwei Jahre lang sehr gut getan hat. Für mich die Hauptsache wäre, daß „es“ sich nicht zu lange aufbaut. Ich lasse mich den Zorn oder die Ungeduld oder die Vorwürfe nicht mehr gegen mich selbst richten. Ich habe es auch satt, über meine Unfähigkeiten, meine enttäuschten Hoffnungen usw. zu raunzen oder gar Selbstmitleid aufkommen zu lassen.

Es täte mir leid, wenn das jetzt überheblich klingen sollte. Ich wollte nur sagen, daß ich (Selbst-)Vernichtungswünsche zu vermeiden versuche und darauf setze, mich zumindest in mittlerer Stimmung mit Projekten zu befassen, die in die Zukunft reichen. Ein Nachteil: wenn du dich nicht mehr so tief sinken lassen willst, beschneidest du dir auch die Höhen. Schön ist aber, wie immer in letzter Zeit, der Gedanke an HWG und diejenige, die das so deutlich in mein Leben gebracht hat – eine Frau, namens ....!

Alles Liebe
ALEX

Dienstag, 3. April 2007

Mon, 4 Dec, 16:26 – 027

Lieber Alex!

Nochmals zu CP: Schön, daß sie Dich so beeindrucken konnte, daß Du Dich so ausgiebig mit ihr beschäftigst. Es ist bei mir ja auch oft so, daß ich über bestimmte Autoren oder Buchtitel lese oder höre und dann meine Neugier geweckt wird, etwas Näheres über sie zu erfahren. Ist sie auch alkohlabhängig? Ich kenne auch keine Alkoholiker, die es wirklich geschafft hätten. Mein Vater war übrigens einer der schlimmsten Sorte! Und aggressiv, wenn besoffen. Zum Glück habe ich ihn nur einige Jahre ertragen müssen, wobei die ersten erinnerungsbedingt nicht bewußt wahrgenommen wurden. Selbst Raucher schaffen es oft nur, wenn sie körperlich müssen. Der Kampf eines Rauchers, wenn er aufhören will und nicht kann, ist fast so schön, wie der Kampf Dicker, wenn sie eine Diät nach der anderen beginnen. Da kann ich leicht sadistisch sein, weil ich nicht in ihrem Boot sitze.

Heute bin ich nicht aufsehensmäßig unterwegs. Ich verschwinde in der Masse. Hab mich ein bißchen zurückgezogen. Schwarz/grau gekleidet.

Du willst mir wirklich Dein CP-Buch anvertrauen? Donnerstag könnte ich beim Rathaus vorbeisausen. Ab ca.17h.

Seelenmüll-Verbot? Ob ich das schaffe??

Wie geht's Dir?
Tina

Montag, 2. April 2007

Mon, 4 Dec, 14:20 - 026

Liebe Tina,

du bist keine komplizierte Formuliererin, sondern du wolltest dich bedeckt halten, das war alles. „Weit oben“ ist übrigens KEIN Rätsel für mich!

Zum Internetanschluß noch: Du redest von einer Standleitung (Chello). Doch die brauchst du doch nicht, wenn du nur ab zu ein bißchen surfen willst und das Internet sonst nur für den E-Mail-Verkehr benützt.

Im übrigen halte ich mich sicher an deinen Wunsch, dein (Firmen-)Inkognito nicht zu lüften, obwohl du mich ja schon zum Gegenteil aufgefordert hast.

Noch einmal – zum allerletzten Mal - zu CP: ich habe mir das Buch gekauft, weil ich sie bei der Lesung gesehen und gehört habe, wie du weißt. Hätte ich das Buch nur irgendwo liegen gesehen: da bin ich nicht so sicher. Ein Hauptmotiv war die Frage der Verbindung von Schreiben und Leben, das heißt: wie sie das löst. Wobei schon aus dem Gelesenen klargeworden war, daß sie „keine Phantasie“ hat, wie sie auch selbst behauptete. Phantasie kann aber vieles bedeuten, zum Beispiel auch, daß man sich überhaupt hinsetzt und dem Leben nachschreibt. Das hätte auch ein Tagebuch werden können. Sie hat aber doch einen romanhaften Ablauf beschrieben, in dem ganz deutlich gestalterische Ideen zutage treten. So bestehen die beiden Teile aus verschieden langen Partikeln, die oft mit einem pointierten Dialog zwischen den beiden schließen. Das hat etwas Filmdrehbuchhaftes an sich, so als hätte sie an eine Aneinanderfolge von Einstellungen gedacht.

Schreiben hat sicher für viele Autoren ausgesprochen oder im Hintergrund auch einen therapeutischen Effekt, wie du meinst, in dem Sinn eines inneren Ausgleichs. Der wird sicherlich angestrebt, wenn auch nicht wirklich gefunden.

Ich habe mir Connie Palmen genau angeschaut (könnte sie mir auch auf dem Video nochmals anschauen). Sie ist mir bei ihrem Auftritt zugleich stark und süchtig erschienen: an ihrer Zigarette hängend; ich nehme aber auch nicht an, daß sie inzwischen trocken ist. Denn ich kenne keinen Alkoholiker, der wirklich trocken wurde, das heißt: nicht beim kleinsten Tropfen wieder rückfallgefährdet, wenn er nicht durch regelmäßig Besuch bei den AA geschützt war. Alkoholismus ist eine lebenslange Krankheit, was man im Land der staatlich geförderten Süchtler ja meist verschweigt

Schreiben ist sicherlich auch eine Sucht, im besten Fall eine gesteuerte (oder sich selbst steuernde); aber das finde ich gut. Es ist eine Sucht, die schützt, sich selbst und auch die anderen. Außerdem – da keine fundmentale Lebensnotwendigkeit, wie ja keine Kulturtätigkeit – ist Schreiben eine Draufgabe für die Zeitgenossen, zu der die meisten nicht fähig wären, wofür sie dankbar sein sollten, was meistens nicht der Fall ist.

Unabhängig davon: wie darf ich mir heute deine aufsehensmäßigen Auftritt vorstellen?

Heute keinerlei „Seelenmüll“!
Alles Liebe
von A.

PS: Ich könnte das CP-Buch am Mittwoch im Lauf der Nachmittags hinterlegen. Sichers wärs ab ¾ 6 Uhr (also am Abend!) dort. (Oder am Donnerstag – schon ab ca. 13 Uhr.) (Die ungefähre Uhrzeit der Abholung ist deshalb von Bedeutung, weil ja die Kellner wechseln, nicht nur im Café Rathaus. Du kannst mir natürlich auch ein anderes Café vorschlagen.)

Freitag, 30. März 2007

Mon, 4 Dec, 10:57 – 025

Hallo Alex!

Was bin ich nur für eine komplizierte Formuliererin! Mir tut's leid. Also paß auf: Mein zierliches Persönchen ist mein Kind, das in der Firma, in der sie momentan sehr weit oben arbeitet (wieder so ein Rätsel), für mich den E-Mail-Verkehr regelt, möglicherweise ein bißchen mitliest, aber keineswegs zensuriert. Bei ihr zuhause bin ich nicht so oft, wo sie einen Internet-Anschluß hätte.

Gestern war großes Palatschinken-Essen und Punschtrinken, da habe ich das ausgenützt. Wegen des Zuhause-Anschlusses habe ich folgendes gehört: eine monatliche Grundgebühr von EUR 45,-, und Du kannst surfen, solange und sooft Du willst.

Ich lese nicht gerne gleichzeitig zwei oder mehrere Bücher. Und Pausewang hat diese Tragödie doch so geschrieben, daß es fast wie eine Komödie wirkt. Warum ich gerade dieses Buch lese: Nachdem meine Leihbibiliothek schon ratzebutz geräumt war, mußte ich mit "Almosen" zufrieden sein. Purer Unterhaltungswert ohne Hintergedanken. Was hältst Du von John Irvings "Zirkuskind"? Dieses Buch hat mich zum Lachen gebracht.

Eine gute Idee von Dir, das Cafe Rathaus als Buchverleihstelle auszuwählen. Wie lange hätte ich denn Zeit, es zu lesen?

Übrigens erinnert mich das an eine Szene: Auf der Hohen Wand wird der Paragleiter-und Drachenfliegersport groß geschrieben. Ich war früher sehr häufig spazieren, wandern, ein bißchen kraxeln und Seele baumeln dort. Ich habe einmal einem Drachenflieger, der noch das letzte Restchen Tageslicht ausnutzen wollte, meinen Pullover geliehen, nachdem er geschwankt hat, ob er noch einen Flug wagen sollte. Saukalt sei es dort oben, hat er gemeint. Mit Hilfe meines Pullis ist er dann doch geflogen. Er hat ihn mir im Gasthof Postl hinterlegt und ich habe ihn am nächsten Tag abgeholt.

Meine Route durch die Stadt führt an fünf Plätzen vorbei: Schmerlingplatz, Heldenplatz, Michaelerplatz, Petersplatz und Stephansplatz. Zum Cafe Rathaus ist es nur eine kleine Wegkorrektur.

Es gefällt mir, wie Du Deinen Sohn beschreibst. Deine vier Söhne sind, was ihre Haare betrifft, Individualisten, nachdem der Trend doch eher zu Glatzköpfen und extrem kurzen Haaren neigt.

Samstag war kein "Seelenbadetag" für mich, ich will Dich aber nicht mit meinem (wie mein Orthopäde einmal gesagt hat) Seelenmüll belasten.

Schönes für heute
Von Tina

Mittwoch, 28. März 2007

Mon, 3 Dec, 08:00 -024

Liebe Tina,

natürlich hast du mich zu einem Stadtspaziergang verleitet! Nicht sehr weit, nur von der WG meines zweitjüngsten Sohnes zum nächsten Lokal in der Josefstädterstraße. Also eigentlich kein richtiger Spaziergang. Er hat süß ausgeschaut, wenn auch etwas verschlafen, nach einem Festl bis 2 oder 3. Mir gefällt er, wenn seine Haare ein bißchen länger sind. (Bis zur Matura vor zwei Jahren hatte er einen Zopf bis unter die Schulterblätter.) Sein älterer Bruder ist erst vor einiger Zeit seinem Beispiel gefolgt und hat sich auch die Haare abgeschnitten. Wir haben gestern zu dritt noch die letzten Dinge aus dessen alter Wohnung in die neue transportiert. Er hatte sich eingebildet, unbedingt in einen Altbau im 4. Bezirk einzuziehn, und er hat es nach mühsamer halbjähriger Suche jetzt auch erreicht. Inzwischen hat er fast alle Häuser dieses Bezirks kennengelernt. Wenn er einmal etwas beginnt, macht er es mit Zähigkeit und Ausdauer.

Wie nahe ich dabei deiner Route gekommen bin, kann ich ja nicht so genau sagen, weil du mir ja nur ungefähr beschrieben hast, wo du zu Hause bist. Jedenfalls wenn ich von seiner WG komme und in die Stadt will, muß ich am Rathaus vorbei und würde quer durch den Volksgarten und durch das Burgtor zum Stephansplatz gehen.

Es tut mir leid, noch immer ist nicht alles Kommunikationstechnische klar. Ich habe folgendes verstanden: sowohl in deiner Firma, in der auch das „zierliche Persönchen“ arbeitet, als auch bei ihr zu Hause gibt es einen Internet-Zugang. Sie ist also die Drehscheibe. Was aber auch logischerweise bedeutet, daß sie deinen ganzen privaten E-Mailverkehr kennt (und auch zensuriert?).

Ich muß jetzt noch etwas für meinen Job machen.

Alles Liebe
ALEX

PS: Sollte ich dir etwa das Buch von CP „leihen“ wollen, siehst du einen Weg, wie es zu dir kommen könnte? Ich könnte es dir zum Beispiel im Café Eiles hinterlegen.

Montag, 19. März 2007

Fri, 1 Dec 12:49 - 023

Lieber Alex!

Keine Bedenkzeit? Schön! Mein Lächeln ist sehr breit geworden bei Deiner Ungeduldsbeschreibung. Vielleicht könnte ich ja dann mit Dir auch nicht sprechen, sondern Dir nur Fragmente hinwerfen und Du ergänzt den Schluß?

Habe ich Dich zum Stadtspaziergang verleitet, der wahrscheinlich meinem sehr nahe kommt? Vielleicht hätten wir uns dabei treffen, sozusagen über den Weg laufen können. Wärst Du mir aufgefallen?

Das mit den Fiakern bzw. Männern sehe ich nicht so lächerlich bzw. animalisch. Wahrscheinlich haben sie nichts Besseres zu tun.

Danke für die CP-Auszüge. Den Schmerz nach I.M.s Tod will ich mir nicht genauer vorstellen. Wo kann sie wieder einen adäquaten (wenn überhaupt) Partner finden? Ihre Ansprüche müssen sehr hoch angesetzt sein. Und welche wirkliche Befriedigung bietet ihr das jetzige Leben? Schreiben als Therapie wird ihr zwar helfen, aber tatsächlich ausfüllen?

Dieses Buch muß ich mir unbedingt besorgen. Es muß ein herrliches Gefühl für sie gewesen sein, ihren Seelenverwandten gefunden zu haben. Auf keinen Fall ist es äußerst unangenehm, wie Du schreibst, einen sich selbst ähnelnden Menschen zu treffen. Man versteht dann vieles besser und weiß ziemlich genau, in welcher Stimmungslage sich der andere befindet. Dann fällt es leichter, darauf einzugehen und ein seelisches Abrutschen zu verhindern und einander wieder Kraft und Freude zu geben.

Etwas, wo ich nicht Deiner Meinung bin: Zuviel Paradies ist unerträglich. Schon das Wort Paradies erhebt - oft schön Erlebtes bis zum Überdruß - darüber hinaus und stellt ja das Herrlichste überhaupt dar. Kein Überdruß, kein Beziehungsmüdesein.

Ich lebe übrigens nicht so gesund mit Körnderl und Obst. Bitterer Kaffee und Schokolade sind Hauptbestandteil meiner Ernährung. Es geht mir gut dabei = H!

Büchernachschub brauche ich momentan keinen. Hast Du schon vergessen, daß ich drei Stöße aus meiner Leihbücherei nach Hause schleppen mußte, weil ich sonst wegen Renovierungsarbeiten, bis in den März hinein bücherlos wäre?

Schön, daß Du Dich lieber mit Frauen umgibst. Hast Du das Charisma, das Frauen anzieht? Bist Du ein Mann der Frauen? Wirst Du ihnen gefährlich, indem Du ihre Seelen stiehlst und irgendwo in Deinem Herzen wegsperrst?

Vielleicht habe ich sonntags Gelegenheit, Dir ein Mail zu schicken.

Bis dahin nebelige Grüße!
Tina

Samstag, 17. März 2007

Fri, 1 Dec 10:39 - 022

Liebe Tina,

heute noch in dunkler Nacht erwacht und keine "Bedenkzeit" (ist ja manchmal süß, einige Zeit im Dunkeln zu bleiben, Wohliges, Wirres, Phantastisches, Wunschträume zuzulassen).

Übrigens: besonders bezüglich des Wartens Übereinstimmung. Ich kann sehr ungeduldig sein, besonders im Gespräch, wenn jemand sehr lange braucht, um etwas zu entwickeln, und ich weiß ja schon, was gesagt werden soll bzw. gedacht wurde.

Diese drei Wörter sind mir assoziativ eingefallen, beschreiben aber nicht meine Lebenssituation. Am ehesten aktuell ist noch das Wort erwarten. Ich erwarte bestimmte Dinge von mir (hat mit einem Plan zu tun), von anderen (im Job zum Beispiel) und vor allem von Menschen, die ich mag oder in die ich mich verliebe (auch, wenn möglich, vorsichtig und mich selbst hinhaltend).

Ich finde deine Art zu schreiben ansteckend in dem Sinn, daß Form und Inhalt passen, aber auch noch ein Mehrwert dazu kommt, nämlich dein spezieller "Hauch". Ich trenne allerdings nicht so zwischen Positiv und Negativ, sowohl, was Erlebnisse in der Realität als auch in den Buchwelten betrifft.

Was du über die Fiaker schreibst, erfahre ich als Mann nicht. Ich kann gehen, wo ich will, ich sehe zwar immer Blicke, die Verschiedenstes bedeuten. Manchmal sehe ich nichts (wenn ich gegen die Sonne gehe), manchmal schimpft vielleicht jemand, aber niemand pfeift mir nach (klar!), macht mir obszöne Angebote usw. Da trennt sich also die Frauen- von der Männerwelt sehr scharf, und ich fühle mich oft sehr unwohl in "meiner" Welt, ich verstehe die Männer nicht: sie kommen mir so lächerlich, getrieben, jägerhaft, damit "urzeitlich", wie Reptilien vor. Damit will ich nichts zu tun haben. Das ist oft mein Gefühl, weshalb ich mich in Gesellschaft von Frauen (ich habe viele Kolleginnen) meist wohler fühle. Du hast allerdings eine dich sichtlich schützende Form gefunden, damit umzugehen bzw. es nicht so tragisch zu nehmen, zumindest was die Fiaker betrifft.

Sprung (auch weil ich bald aufbrechen muß): ich habe Connie Palmen noch nicht aus den Augen verloren, ich lese ja noch in ihrem ersten Buch (Die Gesetze).

Im Nachhinein interessant finde ich das blitzartige "Sich-Verknallen", das zwischen CP und IM passierte, und zwar auf eine solche - mir - ungewöhnlich erscheinende Weise, daß ich die Stelle zitieren muß: ""Er schließt in der Reestraat gerade die Haustür ab, als ich, von der Prinsengracht kommend, um die Ecke biege. Wir bleiben beide wie angewurzelt stehen und sehen einander an, ohne etwas zu sagen. Er wollte zu mir und ich zu ihm, das wissen wir. Ohne jede Vorwarnung dehnt sich mein Schließmuskel, und ich mache mir in die Hose. Mir gegenüber spreizt er die Beine, fasst sich an den Hintern und ruft verdutzt aus, er habe sich in die Hose gekackt."

Daß sie nachher unzertrennlich sind, ergibt sich wohl daraus. Wenn sie sich einmal kurz nicht sehen, telefonieren sie zumindest im Halbstundentakt! Sie erzählt also vom Unvermögen, ohne den Anderen zu sein, von der Kraft und dem Glück, daß beide durch die Gegenwart des anderen genießen. Sie sind sich gegenseitig Heimat - zwei Seelen, die sich vorher immer alleine gefühlt hatten. Beide haben im Anderen nun auch endlich einen adäquaten Gesprächspartner gefunden - ein Manko, unter dem gerade CP bislang sehr gelitten hatte.

Ich konnte mich nicht wegen seiner Schließmuskelreaktion mit IM identifizieren, sondern wegen folgender Erkenntnis: „’Was ich jetzt sage, mag vielleicht sehr seltsam klingen (. . .) aber du bist die erste Frau, die mir ähnlich ist. (. . .) ich habe es bis heute immer für undenkbar und noch dazu äußerst unangenehm gehalten, mit einer Frau zusammen zu sein, die mir auch nur im Entferntesten ähnlich ist, stattdessen aber ist es höchst angenehm.’"

Ich kann dem nur zustimmen, nachdem ich früher so oft auf mein Gegenteil abgefahren bin. Meine erste (kleine) Liebe war eine gebräunte schwarzhaarige Tirolerin, die ich kaum verstand. Ich war 12, sie 11 oder 10. Es folgten viele Verliebtheiten während der Mittelschulzeit, und aus meiner jetzigen Sicht würde ich sie alle als mir sehr kontrovers beschreiben. Das trifft sich auch auf die große Liebe während des Studiums zu und ganz sicher auch auf meine Exfrau. Seit erstaunlich vielen Jahren leben wir nun nicht mehr zusammen. Heute habe ich mit ihr nach längerer Zeit wieder telefoniert. Und ich stellte fest: wir sind noch immer wie Pech und Schwefel.

Zuviel Paradies wäre unerträglich. Es gibt also auch den Schatten darauf: IMs Untreue, seine alte Sucht; und seine Eifersucht, als CP mit ihrem ersten Buch Erfolg hat.

Zitat: "'Connie", sagt er mitten in der Nacht, 'Ich kann nicht treu sein, ich kann es nicht, ich werd verrückt, wenn ich daran denke. Ich werde immer wieder mal zu anderen Frauen gehen, aber ich möchte jeden Abend zu dir zurückkommen. Nicht weinen.'
Aber ich weine nicht. Ich höre es mir ruhig an und weiß, daß ich das Licht auslassen muß, daß er dies nur im Dunkeln sagen kann. Ich stelle ihm Fragen und höre, daß er sie beschämt und mit großer Mühe beantwortet. Manchmal windet er sich um die Beantwortung einer Frage herum, etwas, was ich nicht von ihm gewöhnt bin. Da ich weiß, daß wir dieses Gespräch nur ein einziges Mal auf seine Veranlassung hin führen werden, stelle ich die betreffende Frage mit anderen Worten noch einmal, bis ich weiß, was ich wissen möchte, bis ich es besser verstehe. Das einzige, was das Wissen erträglich macht, ist, daß er seine Antworten einige Male mit der Bemerkung einleitet, er habe das noch keiner Frau, mit der er zusammen war, je erzählt."


Das Buch besteht aus zwei ungleichen Teilen: "In Margine" bilanziert CP in kurzen Abschnitten zahlreiche Momente und Szenen dieser amour fou: in Form von Gesprächen, Reiseberichten, Auftritten, Begegnungen, Streitereien und Versöhnungen, und zwar aus großer innerer Nähe sowohl zu sich als auch zu IM, der ja durch viele kleine Zitate aus seinen Zeitungsartikeln und Buchentwürfen direkt spricht. Trotz der Intimität erscheint nichts exhibitionistisch. Du kommst dir nicht vor wie ein Voyeur, dem hinter einem Guckloch etwas Verbotenes vorgeführt wird. CP versteht es sehr gut, Emotionalität mit Reflexivität zu verbinden, ohne daß das aufgesetzt wirkt oder dozierend. Da beide schreiben, er als Journalist, sie als Romanschriftstellerin wird das Schreiben - und die Durchdringung des Lebens mit dem Schreiben - auch oft thematisiert. IM stirbt nach vier Jahren 52jährig an einem Herzinfarkt.

Der viel kürzere zweite Teil - ""In Memoriam" - behandelt das Leben CPs nach seinem Tod und schildert ihr Martyrium, damit fertigzuwerden. Da war das Schreiben sicher ein Überlebensprogramm, das sie diese vier Jahre des hauptsächlichen Glücks noch einmal durchleben und erneuern ließ.

So, ich esse noch schnell mein Frühstück (Cornflakes mit Körnern und Apfel) und verlasse dieses warme Haus in Richtung mittelgraue, etwas dräuende Außenwelt.

Ich wünsch dir einen schwungvollen Vor- und Nachmittag, das heißt: eigentlich nur einen Vormittag. Denn am Nachmittag versetze ich dich in eine Buchhandlung deiner Wahl, zum Büchernachschub!

Alles Liebe samt HWG!
ALEX

Mittwoch, 14. März 2007

Thu, 30 Nov, 10:58 - 021

Lieber Alex!

Guten Morgen und Grüß Dich!

Vermissen, Erwarten und Sehnen sind für mich ziemlich negative Begriffe. Vermissen: tut weh, bitter weh, oft bis zur Depression. Erwarten beinhaltet mitunter auch Enttäuschung, kein positives Erlebnis. Warten selbst hasse ich wie die Pest (!); bereits das Warten an Verkehrsampeln stört mich. Sehnsucht: schmerzt noch viel mehr als vermissen; peinigend, wie Du schreibst, trifft auch für mich zu. Wenn Dir diese drei Worte so hintereinander eingefallen sind, heißt das, Dein "Lebenshauch" ist ein ziemlich schmerzlicher (gewesen)?

Danke, ein großes Dankeschön für Dein "phänomenal" über mein Stadtgschichterl. Du hast natürlich recht, daß es mir Vergnügen gemacht hat, das zu schreiben.

Ein deftiger Fiaker-Schmäh? Vier oder fünf Fiaker stehen in einem Kreis beisammen, einer hält ein Kondom in der Hand, ausgezogen, die anderen reißen Witze. Ich mußte leider mittendurch und wußte, daß was kommen würde. Nicht direkt an mich gerichtet, aber doch so, daß ich es hören konnte, wurde eine obszöne Bemerkung gemacht. Ich habe mich darüber geärgert, daß ich nicht den Mut aufgebracht und klargestellt habe, daß ich eigentlich keines verwenden muß.

Aber die meisten Fiaker haben den typischen Wiener Schmäh. „Nichts als Beine!“ hat mir einmal einer nachgerufen, was mich veranlaßt hat, mich im Kreis zu drehen und ihm ein Dankeschön zuzurufen.

Den Geruch der Pferde habe ich übrigens sehr gern. Vor den Tieren selbst habe ich allerdings großen Respekt. Sie neigen dazu, meine Lederjacke anzuknabbern, wenn sie dicht gedrängt (oft in vier Reihen nebeneinander) kein gefahrloses Durchkommen ermöglichen. Ist mir schon öfter passiert. Dann haben sie auch die Angewohnheit, mir mit gestreckten Hälsen nachzuschauen und mich anzusabbern. Das Ausweichen wird dann zu einem Spießrutenlauf. Auf der Vis-a-vis-Seite stehen leider die Touristenbusse, sodaß der Weg zwischen den Pferden hindurch noch immer die bessere von zwei schlechten Möglichkeiten ist.

Hast du dir schon den Himmel angeschaut? Heute früh war er herrlich rosa eingefärbt. Und gestern gabs einen prächtiger Sternenanblick und eine kleine Mondsichel.

Übrigens hatte meine Tante auch einen Bauernhof, und als Kind habe ich das "Bauern"-Dasein sehr genossen. Schweine, Ziegen, Hühner, Katzen und ein sehr bissiger Kettenhund. Leider war die Schaukel in der Tenne angegebracht, und die Kette reichte gerade noch hinein, sodaß das Schaukeln nicht ganz ungefährlich war. Im Laufe der Jahre ist das alles samt dem Misthaufen einem 08/15-Haus gewichen.

Muß (leider) wieder arbeiten.

Liebe Grüße
Servus
Tina
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